Schwedische Momente

Im Urlaub komme ich mir vor wie ein Hamster, dessen Käfigtür man vergessen hat zu schließen und der nun erstaunt feststellt, dass es auch ein Leben außerhalb des Laufrades gibt. Diese Freiheit auf Zeit macht mich ausgesprochen neugierig und damit offen für alle Dinge, die da kommen.

Ich werde natürlich nicht wie ein Hamster irgendwelche stromführenden Kabel anknabbern, nur um herauszufinden wie Plastik schmeckt. Dafür unterscheidet sich mein Hirn von dem eines Hamsters doch erheblich und das nicht nur in der Größe. Doch ab und an gerate ich doch mit meinen diversen Aktivitäten ganz in die Nähe der gefährlichen Knabbereien eines freilaufenden Hamsters. Dann bin ich heilfroh, wenn ich nicht mit einem blauen Auge, sondern nur um eine Erfahrung reicher aus solchen Unternehmungen herauskomme.

Den Menschen, auf die ich treffe, begegne ich vorurteilsfrei und interessiert und werde nicht selten dafür mit komischen, lustigen, manchmal auch sentimentalen, nachdenklichen, hin und wieder aber auch mit beunruhigenden, immer aber mit sehr informativen Augenblicken belohnt. Wahrscheinlich trage ich auf meinen Rücken eine geheime und nur für Eingeweihte sichtbare Leuchtschrift mit den Worten: Achtung! Freilaufender Mensch. Bitte füttern. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass gerade im Urlaub so häufig Menschen mich mit Informationen füttern wollen, mir ihre Hilfe wozu auch immer anbieten oder mich einfach nur in ein Gespräch verwickeln. So lange Sie meine Zutraulichkeit nicht benutzen, mich einzufangen, um mich dann in ihren Käfig zu stecken, soll mir das recht sein.

Auf alle Fälle beschert mir mein Freigang eine Menge interessanter Augenblicke, die es wert sind aufgeschrieben zu werden.

Unser letzter Urlaub führte uns einmal mehr durch Südschweden und an schwedischen Momenten fehlte es da nicht.  Ich erinnere mich zb. an Herang, einem winzigen, verschlafenen Ort, ca 200 km nördlich von Stockholm. Seit über einer Woche waren wir bereits an der Ostküste Schwedens entlang getingelt. In Herang finden wir nach einigem Suchen einen Platz im Hafen für die kommenden 2 Tage. Auf einem Stellplatz für mindestens 20 Wohnmobile, wenn man den Nummern an den Plätzen Glauben schenken darf. Unserer Stromstecker ist der erste, der die noch jungfräulich auf 0 stehende Steckdose auf dem von uns ausgesuchten Platz beehrt, so neu ist dieser Platz.

Einen Tag stehen wir mutterseelenallein auf der Rasenfläche zwischen den kleinen windgebeugten Birken bis sich am Ende des 2 Tages ein schwedisches Mobil zu uns verirrt. An diesem Abend sind wir zu dem Entschluss gekommen nicht noch weiter nördlich zu fahren. Das Wetter ist zu schön, um so viel Zeit im Auto zu verbringen. Am nächsten Tag nach dem Frühstück soll es daher westwärts gehen in die Malären nach Västeras. Vom Meer zu den Seen. Von der Abgeschiedenheit und Einsamkeit in die pulsierende Geschäftigkeit eines touristischen Hotspots.

Der Morgen beginnt schon mit einer Überraschung.  Besuch zum Frühstück. Ein SJV hält direkt vor unserem Wohnmobil. Der Chef der Marina persönlich steigt aufgeregt aus. Während er auf uns zu kommt, überlege ich: „Ist der jetzt wirklich die 50 m von seinem Büro bis zu unserem Stellplatz mit dem Auto gefahren? Ok! Es geht bergauf – so ca 20m. Das könnte für manche Menschen am Morgen schon eine Herausforderung darstellen. Und so aufgeregt wie er uns gerade in drei Sprachen versucht zu erklären, dass wir uns auf dem falschen Stellplatz häuslich niedergelassen haben, hätte eine körperliche Aktivität wie zu Fuß gehen, seinen Blutdruck wahrscheinlich ins unermessliche steigen lassen können. Nur die asphaltierten Plätze gehörten ihm und wären für die Wohnmobile. Die Rasenplätze, erklärt er uns, von denen wir uns einen ausgesucht haben sind bereits anderweitig an Dauercamper verpachtet. Wobei der Begriff Dauercamper für Irritationen sorgt. Er kennt nur den schwedischen Begriff und versucht uns auf Englisch diese Sorte Camper zu erklären. Es dauert ein wenig bis bei uns der Groschen fällt, dass damit jene Urlauber gemeint sind, deren Fahrzeug zwar Räder haben, die aber nach der ersten Fahrt nie mehr gebraucht werden. Dafür bekommt das Fahrzeug ein schönes Vorzelt, eine Terrasse, einen Grill und eine Fahnenstange. In der Hard-core-version geschmückt mit Gartenzwergen und Blumenkübeln. Nicht unbedingt unsere Art des Urlaubmachens und eine Zeitlang das absolute Feindbild eines jeden Wohnmobilisten.

Und auf deren Territorium sollen wir gerade stehen? Wir doch nicht. Die Plätze sind durchnummerier und haben uns daher keinen Anlass gegeben, dass es hier Plätze für Mobile und eher weniger mobile Fahrzeuge gibt. Ein Blick auf den bei der Ankunft ausgehändigten Schlüssel für die Toiletten belehrt uns eines Besseren. Wir stehen definitiv nicht auf Platz 15.

Wie gut, dass wir   vorhaben, heute zu weiterzufahren. Da wird sich das große Problem des Marina Chefs doch zeitnah erledigen. Wohlgemerkt bis auf eine einzige Ausnahme sind alle Plätze leer- die für Dauercamper ebenso wie die für Wohnmobile. So etwas nennt man dann wohl Mangelverwaltung

Einige Stunden später und 200km weiter in Västeras angekommen, sehen wir schon von weitem den Stellplatz für Wohnmobile am Kanal. Der kleine Platz sieht bereits voll aus. Aber dann entdecken wir von weitem doch noch eine Lücke. Aber vor dem Befahren des Platzes ist erst einmal die Technik mit der Schranke zu meistern. So sehr ich sie auch nach oben drücke, das Ding bewegt sich keinen Millimeter. Was tun?  Vor einem der dort bereits stehenden Wohnmobile bearbeitet gerade ein Mann sein Gesicht mit einem Rasierapparat. Ein Blick auf das Nummernschild zeigt mir, dass ich es hier mit einem finnischen Exemplar der Gattung Mann zu tun habe. Der müsste doch eigentlich englisch verstehen, denke ich und schildere ihm mein Problem, so gut es mein Vokabelschatz zulässt. Der versteht mich allerdings nicht. Das heißt, er versteht mich schon, nur mein Problem kann er nicht ganz verstehen. Als ich seinem Blick folge verstehe ich es dann auch nicht mehr. Michael, Ehemann und Fahrer ist inzwischen ausgestiegen und hält kopfschüttelnd die geöffnete Schranke in seinen Händen. Er hat sie einfach nur nach vorne gedrückt und simsalabimm hat sie sich geöffnet.

Und Ich verstehe auf einmal die Welt nicht mehr. Schranken gehen doch immer hoch. Oder? So jedenfalls ist es in meinen grauen Gehirnzellen abgespeichert. Na ja…Über die Flexibilität des Denkens in Bezug auf das Ansteigen des Lebensalters will ich mich an dieser Stelle mal lieber nicht äußern.

Da mir der rasierende Finne bei dieser Problemlösung nun nicht mehr helfen kann, möchte er mir wenigstens anders irgendwie behilflich sein und erklärt mir, dass er in einer guten Stunde wegfährt und dass wir gerne seinen Platz vorn direkt am Wasser haben könnten.

Ich bedanke mich für das Angebot, sehe aber im Moment keine Veranlassung es anzunehmen. Wir stehen doch bereits in der Lücke auf einem Platz, der nicht mit einem Schild als reserviert gekennzeichnet ist. Aber nicht mehr lange, denn wir sollen gleich eines Besseren belehrt werden. Ein niederländischer Womofahrer klärt uns über den Tatbestand auf, dass diese Lücke zwar frei aber eigentlich auch irgendwie besetzt ist. Denn man habe ihn von dort auch weggeschickt, als er sich mit dieser Platznummer anmelden wollte. Es gäbe nur noch zwei Stellmöglichkeiten quer zum Platz und auch ohne Stromanschluss. Strom brauchen wir nicht. Aber so mit der geöffneten Terrassentür zur Durchfahrt zu stehen, ist nicht wirklich schön. Aber halt! Da war doch noch das Angebot des Finnen. Wir stellen uns also auf den noch freien Platz und warten. Es dauert nicht lange und der Finne kommt und kündigt sein Wegfahren an. Im gleichen Moment schreit von einem ebenfalls querstehenden Mobil ein Norweger: „No,no. We are  the first!“

Willkommen in der Zivilisation!  Denke ich. Und deute ihm mit einem zähne knirschenden Lächeln an, dass wir seine Einwände verstanden und akzeptiert haben. Soll er sich doch zu den fünf anderen Norwegern gesellen, die bereits mit ihren Boliden in Reih und Glied und mit der nötigen geistigen Nahrung auf den Tisch auf ihn warten.

Und…wer sagt denn, dass man seinen Stuhl immer direkt vor der eigenen Tür aufstellen muss. Wenige Schritte weiter, außerhalb des Stellplatzes, finde ich einen schönen Sitzplatz direkt am Kanal. Hier verbringen wir bis zum Abend unser tägliches Freiluft-Leben.

Ärgerlich ist es nur, dass wir für diesen Platz ohne Strom und ohne Aussicht genau dasselbe bezahlen müssen wie für die Plätze vorn mit Stromanschluss und Seeblick.

Morgen fahren wir weiter. Ein Tag touristischer Hotspot und Zivilisation muss reichen oder besser gesagt-reicht uns. Das denke ich auch als mich gegen Abend ein Wohnmobil und das war kein Schwedisches von meinem Platz am Kanal verscheuchen will, in dem es mir fast in die Stuhllehne fährt und das denke ich auch noch einmal nachts, als die aufgedrehten  Bässe der Autos, die hinter unserem Mobil  zum Strand fahren, mich aus dem Schlaf hochschrecken lassen.

An diesem Abend sitzen wir etwas unglücklich vor unserem Wohnmobil und versuchen zwischen den norwegischen Großfahrzeugen hindurch einen Blick aufs Wasser zu erhaschen. Aber dann lädt uns der Niederländer von der Ankunft ein, der samt Frau vorm Auto direkt am See bei einem Glas Wein sitzt, sich zu ihnen zu setzen, um dem Sonnenuntergang zu zusehen. Na, also. Geht doch, denke ich, als ich meinen Klappstuhl nehme und umziehe.

 

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