Tag 19: Erstens kommt es anders…Haapsalu

 31. Juli 2019 in Estland ⋅ ☁️ 15 °C

Unser Stellplatz: ­  58°54’50“ N   23°33’15“ E Camping Pikseke

Stellplatz Haapsalu

Gegen 9.00 Uhr wache in von einem Geräusch auf. Es sind Gabi und Chris, die ihr Wohnmobil startklar gemacht haben. Sie wollen heute nach Tallinn. Schnell werfe ich mir Michaels Jacke über und gehe hinaus. Es ist ziemlich frisch. Die Temperaturen sind in der Nacht auf 10 Grad gesunken. Das haben wir auch im Wohnmobil gemerkt.
Ich verabschiede mich mit den Worten: “ Bis zum nächsten Mal. Aller spätestens auf der Fähre“ von den beiden. Dann koche ich Kaffee und hüpfe wieder ins warme Bett. Der See kann mich bei 15 Grad heute morgen nicht locken. Michael ist auch wach geworden, holt sich einen Kaffee und studiert die Wetterkarte. Keine guten Aussichten für heute. Kälte und Schauer für den ganzen Tag sind angesagt. Beim Frühstück überlegen wir, ob unsere geplante Inselerkundung mit dem Roller bei Regen Sinn macht. Kurzerhand wenden wir unser altes Wohnmobil-Reisen-Motto an: „Regentage sind Fahrtage“. Wir suchen uns einen interessanten Ort auf dem Festland in Richtung Tallinn heraus. Unsere Wahl fällt auf Haapsalu. Wir packen zusammen, bezahlen und fahren zur Fähre nach Muhu. Wir haben mal wieder Glück und brauchen nicht warten. Auch dieses Mal quetscht man uns wir wieder zwischen die LKWs. Plötzlich schreit der Einweiser „Stopp“ und ruft uns was auf estnisch zu. Wir wissen nicht , was los ist. Ich schaue aus dem Fenster, da sehe ich den Grund der Aufregung. Der LKW-Fahrer neben uns hat seinen Spiegel nicht eingeklappt und das Wohnmobil klemmt am Spiegel fest. Ein kurzes Geräusch hatten wir kurz vorher auch wahrgenommen. Erst als der LKW Spiegel eingeklappt ist, können wir weiter in die Lücke fahren. Gott sei Dank ist nichts passiert, außer einem großen Schreck. Nach der Fährüberfahrt inspizieren wir nochmal das Wohnmobil auf einem Parkplatz. Der Spiegel hat keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Am frühen Nachmittag kommen wir auf dem kleinen Stadtcamping in Haapsalu an. Der Besitzer spricht gut deutsch und führt uns zu einem Platz auf der Wiese, der so lang ist, dass wir nicht einmal abkoppeln müssen. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und die Urlaubswelt ist wieder in Ordnung. Wir trinken Kaffee und danach geht es für mich (Michael möchte lieber duschen und sich ausruhen) mit dem Rad in die Stadt, die ca 3 km entfernt ist. Vorher aber werden die gestern gekauften Pilze geputzt, denn heute Abend soll es Bandnudeln mit Pfifferlingen geben.
Haapsalu ist ein Heilbad und war früher ein beliebtes Ferienziel der russischen Aristokratie. Ich komme zunächst zur Bischofsburg, die mitten in der Stadt und umgeben von einem Park liegt. Das Rad findet schnell einen Parkplatz. Die gepflegte Ruinenanlage mit der Kathedrale und einem angeschlossen Museum ist um diese Zeit leer. Der Turm der Burg ist zu besteigen und so klettere ich über die ganz eigenartig im Fischgrätmuster angeordneten Stufen nach oben. Leider kann man nur über Park und Anlage schauen und nicht, wie erhofft, bis zum Meer. Zum Meer laufe ich wenig später, vorbei an den Holzhäusern, die noch Renovierungsbedarf haben, entlang an der weißen Kirche bis zur Promenade ans Wasser. Alles ist so geruhsam und nur wenige Menschen begegnen mir. Ein hoher im Stil der Holzhäuser gehaltener Turm erregt meine Aufmerksamkeit. Ein Mann mit einem riesigen Objektiv vor der Kamera steigt gerade herunter. Der Informationstafel entnehme ich anhand der Fotos, dass man vom Turm ins Vogelschutzgebiet schauen kann. Seltene Vögel wie Seeadler können von hier beobachtet werden. Eine Turmbesteigung reicht mir für heute, und so gehe ich zurück zur geschäftigen Flaniermeile, wo viele kleine Bars und Restaurants in den bunten Häusern mit originellen Ambiente auf Gäste hoffen. Einige haben ihre Fenster weit geöffnet, und so kann der Vorbeischlendernde nicht nur einen Blick auf die ausgehängt Karte, sondern auch in die Räumlichkeiten werfen. Das gefällt mir.
Als ich am Coop, der hier in Estland sehr viel vertreten ist, vorbeikomme, fällt mir ein, dass ich ja immer noch kein Brot gekauft habe. Der kleine Einkauf wird ein Abenteuer in Sachen digitalen Bezahlens, denn es gibt nur Scannerkassen mit estnischer Benutzerführung. Zum Schluss muss ich mein Brot und mein Eis mit der Kreditkarte bezahlen. Dafür soll ich auch noch meine Pin- Nummer eingeben, die nicht weiß, weil ich immer mit Unterschrift bezahle. Eine nette Angestellte hilft mir den Einkauf zu beenden.
Dann geht es zurück zum Rad und damit zum Campingplatz. Die Pfifferlinge warten und ergeben eine leckere Mahlzeit, die wir in der Abendsonne genießen. Nach dem Duschen sitze ich noch ein wenig draußen und schreibe Tagebuch. Bis oben hin gut verpackt, nicht nur gegen die einsetzende Kälte, sondern auch als Schutz vor den gefräßigen kleinen Piranhas, die mit Vorliebe gegen Abend zubeißen. Mein Parfüm heißt daher schon seit Tagen „Autan“. Riecht nicht gut, hilft aber.

Tag 20: Tallinn

 1. August 2019 in Estland ⋅ ⛅ 15 °C

Unser Stellplatz: Parkplatz im Hafen von Tallin Sadama Tallin Port ­ 59°26’30“ N   24°45’31“ E

Gestern habe ich Michael den Vorschlag gemacht, nicht wie geplant auf einen der außerhalb der Stadt liegenden Campingplätze zu fahren, um dann mit der Bahn nach Tallinn hineinzufahren, sondern einen Parkplatz im Hafen in Altstadtnähe aufzusuchen, der sich auch zum Übernachten eignet. Dann könnten wir den Tallinnbesuch aufteilen. Einmal nachmittags, wenn die Kreuzfahrtbesucher weg sind, und noch einmal am nächsten Morgen, bevor die nächsten kommen. Wir haben von vielen Wohnmobilisten, die bereits Tallinn besucht haben, gehört, dass manchmal bis zu 6 Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig ihre Passagiere in die Stadt entlassen. Dann ist es wohl unheimlich voll. Versuchen wir es doch einmal so.
Michael ist es nicht ganz wohl dabei, mit dem Hänger mitten in der Großstadt einen Parkplatz anzusteuern, denn wir sind gut 12m lang, aber Chris und Gaby, die bereits da sind, meinen, es sei kein Problem. Wir werden sehen. Wenn es nicht klappen sollte, fahren wir nach Saue auf den dortigen Campingplatz. Das wäre dann Plan B.
Wir starten gegen 10.30 Uhr in Haapsalu. Es geht zügig voran. Knapp 100 km sind zu fahren. Schon 20 km vor Tallin beginnt die Straße mehrspurig zu werden und Autohäuser, Supermärkte usw. am Straßenrand kündigen die Großstadt an. Irgendwann müssen wir uns die Fahrbahn mit der Straßenbahn teilen und es wird wuselig und unübersichtlicher. Bis einen Kilometer vor unserem Ziel bleiben wir auf der A4, bevor es zum Hafen und zum Fährterminal abgeht. Es klappt alles prima. Kurz vor Mittag ist noch wenig los auf dem Parkplatz. Eine Handvoll Wohnmobile stehen bereits dort in einer Reihe hinter den parkenden PKWs. Wir finden sogar eine doppelte Parklücke, so dass der Hänger auch Platz hat, ohne dass wir abkoppeln müssen. Das hat schon mal gut geklappt. Die Anspannung entweicht langsam aus Michael. Ich hätte bei diesem Verkehr nicht mal mit dem PKW fahren mögen.
Wir machen uns gleich fertig für den Stadtbummel und entdecken beim Aussteigen aus dem Wohnmobil die Haltestelle des Hopp-on-Hopp-off-Busses keine hundert Meter weit entfernt vor dem Harbour Terminal. Wenn das nicht ein gutes Zeichen ist! Kaum zehn Minuten später fährt der Bus mit uns als einzigen Fahrgästen die Altstadtroute. 25 Euro kostet das Ticket pro Person, das 24 Stunden gültig ist und noch zwei weitere Routen, die Museumsroute und die Tour durch die Außenbereiche beinhaltet. Es steigen bei den nächsten Stopps zwar noch ein paar Gäste ein, aber oben im offenen Bereich bleiben wir weitgehend allein. Gute Zeit gewählt. Der Bus fährt an allen wichtigen Sehenswürdigkeiten vorbei und ermöglicht einen ersten Eindruck von der Altstadt. Durch Kopfhörer erfahren wir alles Wissenswerte und noch ein bißchen mehr. Wir steigen nicht aus, sondern fahren die Runde zu Ende, bis wir nach eineinhalb Stunden wieder am Hafen sind. Dann geht es die wenigen Schritte zurück zum Wohnmobil, um Kaffee zu trinken. Michael hat heute morgen in Haapsalu auf dem Campingplatz nicht nur frische Brötchen kaufen können, sondern auch leckere kleine Törtchen, die jetzt auf uns warten. Kurz vor dem Wohnmobil sehen wir zwei bekannte Gestalten: Chris und Gaby sind von ihrer Fahrrad-Rischkafahrt aus der Stadt zurückgekommen und wollen nun weiter zu einem Camp im „Lahemaa -Nationalpark. “ Auch das Wohnmobil des Borkener – und das des Bremer Ehepaars stehen hier auf dem Parkplatz. Man trifft sich doch immer wieder.
Nach dem Kaffeetrinken sind wir frisch gestärkt, um die Altstadt per Pedes zu erkunden. Über 10 km laufen wir in den nächsten Stunden durch die malerischen Gassen der Altstadt, und können uns nicht satt sehen an den wunderschön restaurierten Häusern. Inzwischen ist es voll geworden Die Kreuzfahrer sind da. Alle Sprachen dieser Welt schwirren durch die Luft. Viele Gruppen sind mit einem Stadtführer unterwegs. Jeder Stadtführer hält ein anderes Erkennungszeichen in die Höhe. Vom Regenschirm, Spazierstöcken mit Wimpel bis hin zu lustigen Spielzeugfiguren, die an einem Stock befestigt sind, ist alles dabei. Einen besonders schönen Blick über die ganze Stadt und das Umfeld bis hin zu den Kreuzfahrtschiffen im Hafen, haben wir von den beiden Aussichtsplattformen in der Oberstadt. Wir gehen einen Schritt schneller, als wir merken, dass eine Gruppe Asiaten, die mit Tablets und Handys bewaffnet sind, auch auf dem Weg dorthin sind. Da die aber noch auf dem Weg den Erklärungen ihrer Führerin lauschen müssen, haben wir einen Vorteil und einen Moment freie Sicht nach unten. Irgendwann brauchen wir eine Pause und kehren auf einer kleinen Terrasse unterhalb der Alexander- Newski -Kathedrale auf dem Domberg ein. Diese Kathedrale ist Estlands Hauptkathedrale für die russisch -orthodoxe Gemeinde. Sie ist mit ihren bemalten Zwiebeltürmen wunderschön anzuschauen und wurde 1900 im zaristischen Russland als Symbol für die religiöse und politische Vorherrschaft gebaut und dem Prinzen Alexander Newski gewidmet, der 700 Jahre zuvor die Deutschen auf ihrem Marsch gen Osten gehindert hat. Bewusst hat man sie auf den Domberg gebaut. Genau dort, wo vorher die Statue von Martin Luther gestanden hat.
Michael hat es als Raucher besonders schwer im Baltikum. Es herrscht öffentliches Rauchverbot. Nur draußen in den Lokalen und zum Teil auch da nur an ausgewiesenen Plätzen darf geraucht werden. Während wir bei unserem Getränk in der Sonne sitzen, für diesen exponierten Platz haben wir vier Mal den Tisch gewechselt und den Kellner, glaube ich verzweifeln lassen, der jedes Mal, wenn er einen Anlauf machte, uns zu bedienen, seine Gäste aufstehen sah. Aber was lange währt, wird gut. Wir haben einen Platz ohne Wind, mit Raucherlaubnis, mit schönem Blick auf die Kathedrale und in der Sonne. Also während wir so unser Getränk genießen, geht die Tuterei los. Jedes der im Hafen liegenden Kreuzfahrtschiffe erinnert seine Passagiere daran, dass der Landgang zu beenden sei. Kurz nach 17.00 Uhr ist es dann ganz entspannt in der Altstadt.
Auch wir benötigen etwas Entspannung. Vor allem unsere Füße. So geht es erst einmal zum Wohnmobil zurück.
Auf dem Parkplatz ist es voll geworden. Viele Wohnmobile sind dazu gekommen. Mancher muss sich bei seiner Rückkehr überlegen, wie er am Besten in sein Wohnmobil kommt, so eng stehen sie teilweise. Wir haben etwas mehr Glück. Bei uns ist es nur ein PKW.
Die Fahrt, der lange Stadtspaziergang, die vielen Eindrücke und nicht zuletzt noch das Bier unterwegs, fordern ihren Tribut. Ich schlafe so tief und fest ein, dass ich nichts mehr wahrnehme. Es ist bereits halb acht, als ich wach werde. Jetzt wird es aber Zeit nach einem Lokal für das Abendessen zu schauen. Die meisten Restaurants schließen spätestens um 22.00 Uhr ….auch hier in Tallinn. Man geht früh essen, das haben wir schon bemerkt. Ich schaue in Google Maps nach guten Restaurants mit einheimischen Essen. Die „Stuvee Teras“ gefällt mir ganz gut. Michael kommt herein und zeigt auf das Rooftop-Lokal gegenüber, von dem man einen fantastischen Blick auf den Hafen haben muss und das mit seinen Lampions in der Abendsonne sehr einladend wirkt. Das gefällt mir auch. Es stellt sich kurz darauf heraus, dass es eben diese „Stuvee Teras“ ist, die ich auch herausgesucht habe.
So brauchen wir nicht mehr weit gehen. Oben angekommen, stellen wir mit Bedauern fest, dass draußen alle Tische besetzt sind. Liegt es nun an unseren enttäuschten Gesichtern oder an etwas anderem, dass ein Ehepaar an einen Tisch auf die beiden leeren Plätze neben sich zeigt? Wir bedanken uns auf Englisch für die Einladung zum Platz nehmen, aber schnell stellt sich heraus, dass es sich um ein deutsches Paar handelt. Ein Ehepaar aus Stralsund, das eine Baltikum Rundreise mit dem PKW und in vorbestellte Hotels macht. Wir unterhalten uns ganz angeregt über bereits besuchte Orte. Das Essen ist lecker und frisch und entspricht den Bedürfnissen der überwiegend jungen Gäste, ist aber eher gehobener Imbiss. Verwundert stelle ich fest, dass es auch eine Shisha-Bar ist Denn die Shishapfeife wird an einigen Tischen geraucht. Nur Michael traut sich nicht hier auf der Terrasse seine Glimmstengel herauszuholen, denn es gibt nirgendwo Aschenbecher.
Der Abend über dem Hafen ist richtig schön und es ist schon nach 23.00 Uhr, als wir nach einem abschließenden Spaziergang durch den Hafen ins Wohnmobil zurückkehren. Das war wieder ein sehr erlebnisreicher Tag mit vielen Eindrücken…..und morgen geht es weiter.

Tag 21: Tallinn und Weiterfahrt nach Pärnu

 1. August 2019 in Estland ⋅ ⛅ 16 °C

über den Dächern von Tallinn

Die Nacht ist wider Erwarten ausgesprochen ruhig gewesen für einen öffentlichen Parkplatz. Um 22.00 Uhr hören die Geräusche der Baustelle nebenan auf. Der komplette Hafen wird neu gemacht und es wird gerade am zweiten Hafenbecken gearbeitet. Schon beim Abendspaziergang durch den Hafen zeichnete sich Ruhe ab. Die meisten PKWs sind verschwunden und der Verkehr ruht. Gegen Mitternacht kommt noch eine Fähre. Einige startende Autos bringen kurz etwas Unruhe. Aber wir haben wunderbar bis 9.00 Uhr geschlafen.
Unser Plan für heute in Tallinn ist eine weitere Fahrt mit dem Hopp-on-Hopp-off-Bus in die Randgebiete. Beim Frühstück stellen wir allerdings fest, dass die Busse erst ab 12.00 Uhr starten. So gehen wir erst noch ein wenig shoppen in dem Harbour Shop gegenüber. Der ist voll auf den Konsum der anreisenden Finnen eingestellt, die mit der Fähre von Helsinki zum Einkaufen vor allem von Alkohol herüber kommen. Für die Finnen ist Estland ein Einkaufsparadies. Und so wird Hochprozentiges gleich kistenweise angeboten. Da machen wir uns mit unserer Packung Milch und der Dose Bier, dazu noch alkoholfrei, etwas sonderbar an der Kasse aus.
Schnell die Einkäufe verstaut, und dann ab in die Altstadt. Auf dem Weg dorthin, unmittelbar am Hafen, liegt das Rotermann Viertel. Hier hat man ähnlich der Speicherstadt in Hamburg, die alten Fabrikgebäude der Rotermann Firma renoviert und zu Wohnungen, Läden, Cafes und Lokalen umgebaut, wo sich um 1900 ein Kaufhaus, eine Stärke-, Spirituosen-, Tisch- und Makkaronifabrik, eine Brotfabrik, eine Mehlmühle, eine Graupenmühle, ein Dampfsägegebäude sowie ein Salzspeicher befunden haben. Dazwischen findet man architektonische kleine Wunder, die in und zwischen die alten Häuser integriert wurden.
Wir schauen nach der Haltestelle der roten Busse in der Nähe der Altstadt, bevor wir uns ins Getümmel der ersten Kreuzschifffahrer stürzen. In der Nähe befindet sich ein kleiner Markt mit „Handmade original estnischer“ Kleidung. Der Geruch nach Mottenpulver, der mir beim Bummeln entlang der Stände in die Nase steig, lässt eher „Made im ferneren Osten“ vermuten.
Auf dem Rathausplatz stehen heute unzählige Räder und warten darauf gemietet zu werden. Aber ganz ehrlich, durch diese vollen Gassen mit dem Kopfsteinpflaster zu fahren, ist bestimmt nicht der Hit.
Auch auf dem Rathausplatz ist heute ein Markt mit „Handmade Ware“ aufgebaut und die Beschicker warten auf Kunden. Langsam wird es Zeit zur Haltestelle zurückzugehen. Als wir ankommen, steht der Bus der blauen Tour, so ist die Route in die Außengebiete gekennzeichnet, schon zum Einsteigen bereit und es geht bereits kurz danach los. Der Bus ist ziemlich leer. Wir haben wieder einen Platz auf dem Oberdeck bekommen. Ich habe das Gefühl, bis auf die Altstadt ist Tallinn eine einzige Baustelle. Überall schießen Bauten aus der Erde, werden Straßen erneuert und Plätze gepflastert.
Es gibt viel auf-und nachzuholen.
Ganz Estland hat 1,4 Millionen Einwohner und 0,4 Millionen leben davon in Tallin. Die Jugend zieht es aus den einsamen Dörfern hinaus in die Stadt. Das ist ein großes Problem. Viele gut ausgebildete Fachkräfte gehen ins Ausland, weil dort besser verdient wird. Das macht sich gerade im Gesundheitswesen bemerkbar. Es gibt in Estland eine gesetzliche Krankenversicherung, aber viel zu wenig
Fachärzte. Daher muss oft monatelang auf einen Termin gewartet oder ein Arzt privat bezahlt werden. Probleme gibt es auch im Pflegebereich und in den Krankenhäusern. Tallinn hat 9 Krankenhäuser, aber viel zu wenig Fachpersonal. Während wir am Krankenhaus vorbeifahren, gibt es immer wieder die Warnung, wegen der niedrig hängenden Oberleitungen der Straßenbahn, nicht aufzustehen. Etwas mulmig schaue ich auf die knapp einen Meter über unserem Bus hängenden Leitungen und versuche mir nicht auszumalen,was passieren kann, wenn mal eine herunterfällt,
Wir passieren inzwischen das ehemalige Arbeiterviertel, das Kalamaja, das aus Straßenzügen mit grauen und verfallen wirkenden Holzhäusern besteht. Einst, ein Viertel in dem Fischer und Bootsbauer ansässig waren. Im Zuge der Industrialisierung durch den Bau der Eisenbahn nach St. Petersburg im 19. Jahrhundert wurden die Häuser mehr und mehr zu Unterkünften für Arbeiter, die in den entstandenen Fabriken arbeiteten. Die besondere zwei- und dreistöckige Bauweise hat den Häusern den Namen „Tallinnhäuser“ gegeben, und es gibt ca. 500 von ihnen. Die alte Industrieinfrastruktur ist in Kalamaja noch intakt und zum Teil noch in Betrieb. Vielen der Häuser ist der Zahn der Zeit deutlich anzusehen, aber in den letzten Jahren hat sich das Viertel durch den Zuzug von kreativen Lokalen. Geschäften und Bars neu gefunden und gilt inzwischen als eines der angesagtesten Viertel in Tallinn. Wir kommen zum russischen Kulturcenter und fahren weiter zum Freiluftmuseum und zum Zoo. Im Freiluftmuseum kann man reetgedeckte Bauernhäuser im Stil des 18. bis 20. Jahrhunderts, Windmühlen, eine hölzerne Kapelle und eine Dorfschule besichtigen und sehen,wie damals Menschen gelebt und gearbeitet haben. Allein für den Besuch von Zoo und Museum benötigte man zwei Tage, und wenn man noch in die, sich in der Nähe befindenden, riesen Shopping Mall „Rocca al Mare“ geht will, noch mehr Zeit. Wir streifen „Pirita“, einen Vorort von Tallinn. Dort befindet sich der zu den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau gebaute olympische Yachthafen. Dann geht es wieder in Richtung Altstadt und Hafen zurück. Dabei erfahren wir, dass über 40 Prozent von Estland Sumpfgebiet ist. Wen wundert es da, dass die Stechmücken auch Landflucht betreiben und in der Stadt nach Nahrung suchen.;-)
Nach eineinhalb Stunden nähert sich der Bus wieder unserer Haltestelle am Fährterminal. Aber was macht der Busfahrer? Er fährt einfach an der Haltestelle vorbei. Als ich anmerke, dass wir den Bus hier verlassen wollen, meint er, wir sollten am Kreuzfahrtterminal aussteigen, wir wären ja nicht früh genug heruntergekommen. Dabei wurde immer wieder darauf hingewiesen, erst aufzustehen, wenn der Bus hält. Verstehe einer die Denkweise. Uns beschert es einen kleinen zusätzlichen Spaziergang, um zum Wohnmobil zu kommen. Jetzt wird es aber Zeit,Tallinn zu verlassen, denn an diesem Wochenende wird hier der“ Iron Man“ ausgetragen und es sind bereits einige Straßen gesperrt. Ich bezahle die Parkgebühr am Automaten. Neun Euro für 24 Stunden. Dann geht es relativ problemlos aus Tallinn heraus und auf der A4 nach Pärnu, das wir gegen 15.00 Uhr erreichen. Wir fahren in den etwas außerhalb gelegenen „Solar Caravanpark“, eine relativ neue und super ausgestattete Anlage. Dort erleben wir eine Überraschung. Wir sind das 900. Fahrzeug auf dem Platz und bekommen deshalb eine Tafel Schokolade „handmade“ in Pärnu. Die zweite Überraschung , allerdings negativer Art erfolgt wenig später im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Fuße. Eine Wespe ist in meine Sandale geschlüpft und sticht zu. Den weiteren Verlauf des Tages bin ich damit beschäftigt, den Fuß zu kühlen.